ALBATROS - KLASSE

 

Nachdem von 1957 bis 1963 mit den Schnellbooten der Klassen 140, 141 und 142 (JAGUAR-,  SEEADLER- und ZOBEL- Klasse) 40 neue Schnellboote, aufgeteilt in 4 Geschwader, der Flotte zugelaufen waren, sollte der zu dieser Zeit definierte Verteidigungsauftrag, für eine gewisse Zeit, erfüllbar sein.

Die Schnellboote sollten entsprechend der Konzeption der Bundesmarine vor allem der Bekämpfung von Überwasserzielen dienen. Ursprünglich war ein offensiver Einsatz zur Unterstützung einer Landung im Rücken des Gegners im Ostseebereich vorgesehen. Als Anfang der 1960er Jahre eine solche Landung zunehmend unrealistisch erschien, wurde die Abwehr gegnerischer Landungsverbände Hauptaufgabe der Boote. Dabei kam der Fähigkeit, Minen zu legen, eine besondere Rolle zu.

 

Bei ihrem Wiederaufbau griff die Marine zunächst auf im zweiten Weltkrieg bewährte Schiffskonzepte zurück, die gemäß dem technischen Stand der 1950er Jahre modifiziert wurden. Bei den Booten der Seeadler- und Jaguar-Klasse wurden vor allem die Einsatzerfahrungen aus den Kämpfen mit britischen Überwasserkräften im Ärmelkanal gegen Kriegsende berücksichtigt. Dabei wurde vor allem auf Seetüchtigkeit und Artilleriebewaffnung geachtet. Die anfangs schwache Sensorenausstattung wurde mehrfach nachgebessert.

Es zeigte sich jedoch bald, dass das Hauptproblem in den geradeaus laufende Torpedos als Hauptwaffensystems bestand. Deren mangelnden Reichweite machte es erforderlich, tief in die Waffenreichweite des Gegners einzudringen, was angesichts der inzwischen weit verbreiteten Überwachungs- und Feuerleitradarsysteme im Vergleich zum letzten Krieg zu erheblich höheren Verlusten führen würde. Weiterhin war die Artilleriebewaffnung für eine effektive Luftabwehr, bedingt durch die veraltete optische und manuelle Bedienung, nicht Durchschlagskräftig genug.

Schon 1963 wurden vom Kommando der Schnellboote Überlegungen angestellt, wie die Auftragserfüllung durch die Modernisierung der Hauptseekriegsmittel in der Ostsee, der Schnellboote, durch moderne Führungssysteme und Flugkörper beeinflusst werden würde.

 

Dies geschah vor dem Hintergrund, das die sowjetische Marine seit 1959 damit begonnen hatte, ihre Schiffe mit Flugkörpern auszurüsten und dies seit 1960 auch auf ihre Schnellboote ausdehnte. Dies führte zu der Einschätzung, dass der Einsatz bundesdeutscher Schnellboote gegen Einheiten der sowjetischen Marine in der Ostsee, zu denen FK-Schnellboote, FK-Fregatten als auch schwerere Einheiten zählten, wegen ihrer veralteten Bewaffnung mit einem untragbaren Risiko und hoher Verlustwahrscheinlichkeit verbunden sei.

Die Modernisierung der ZOBEL Boote, die mit drahtgelenkten Torpedos und der M-20 Feuerleitanlage ausgerüstet wurden, veränderte die Einschätzung allerdings nur minimal, da diese Boote jetzt zwar Torpedoziel bis zu einer Entfernung von ca. 20 km bekämpfen konnten und sich die Situation der Flugabwehr durch die radargeführte Rohrartillerie deutlich verbessert hatte, aber sie den Reichweitenvorteil der Sowjetboote mit FK-Bewaffnung nicht ausgleichen konnten.

 

Erste Versuche im August 1966 „TATAR“ Flugkörper von Booten der ZOBEL Klasse einzusetzen, wurden nach einigen Schusserprobungen eingestellt. Das „TATAR- System“ hatte, im Vergleich zu den sowjetischen Flugkörpern vom Typ S/S-N gleich mehrere Nachteile.

Zum einen war die Reichweite von ca. 30 km dem sowjetischen Gegenstück S/S-N 2-A, mit einer Reichweite von ca. 40 km, unterlegen, sodass feindliche Einheiten nicht bekämpft werden konnten. Hinzu kam, dass die Sprengkraft des Gefechtskopfs, der mit einer Ladung von 15 kg TNT bestückt war, als zu gering eingeschätzt wurde, da die Wirkung maximal einer 20-cm-Granate entsprochen hätte. Zum anderen war die Einsatzfähigkeit des TATAR Flugkörpers nur bis zu einer Seegangsstärke von 3 möglich. Bei stärkerem Seegang hätten die Wellenreflexe das Ziel unerkennbar gemacht. Weitaus schlimmer war aber die Tatsache, dass die Probeschüsse schwere Schäden an dem Versuchboot "NERZ" verursacht hatten, da dieser Bootstyp strukturell für solche Belastungen nicht konzipiert war.

 

Die neuen Boote der Klasse 143 sollten über eine wesendlich stärkere Bewaffnung als die alten Boote verfügen und mit einer Waffenzuladung von 4 weitreichenden Flugkörpern, 2 Geschützen mit einem Kaliber von 76 mm und 2 Torpedorohren für drahtgelenkte Schwergewichtstorpedos ausgerüstet werden. Auf die Minenlegerfähigkeit wurde, aufgrund der vorhandenen Ressourcen in den anderen Geschwadern, verzichtet. Um eine stabile Waffenplattform für die geplante Waffenzuladung zur Verfügung stellen zu können, wurde an der Form eines Verdrängungsbootes, zu ungunsten einer geringfügig größeren Geschwindigkeit, festgehalten und eine Einsatzverdrängung, nach dem ersten Entwurf der Marinetechnischen Planungsgesellschaft (MTG) in Hamburg, von 300 Tonnen vorgesehen.

 

Schon im Jahr 1966 wurde, unter Berücksichtigung allererhobenen Daten und Erkenntnisse, die Systemspezifikation eines Führungs- und Waffeneinsatzsystem (FüWeS) für ein „Automatisiertes Gefechts- und Informationssystem Schnellboote“ (AGIS) fertig gestellt, da für die zukünftigen Aufgaben der Schnellboote eine modernisierte und stärkere Bewaffnung alleine nicht als ausreichend erachtet wurde. Unsicherheiten in der Entwicklung des neuen Bootstyps ergaben sich im Bezug auf die erforderliche Neuentwicklung eines leistungsstarken Dieselmotors sowie auf die Auswahl der Flugkörper. 1968 waren die Kosten für das Projekt 143 schon auf 40 Millionen DM pro Boot gestiegen. Aufgrund der hohen Kosten als auch der noch zu klärenden offenen Fragen, konnte zu dieser Zeit der Baubeginn für die neuen Boote nicht definiert werden.

 

Im Jahr 1969 allerdings verfügte die Ostseeflotte des Warschauer Pakts schon über mehr als 180 Torpedo- und Artillerieschnellboote und über 60 Flugkörperschnellboote. Dagegen standen auf der Seite der NATO 16 ältere Dänische Schnellboote und 40 Deutsche Schnellboote, die noch mit Torpedos aus dem Zweiten Weltkrieg ausgerüstet und zudem noch über eine optisch zu richtende Artillerie verfügten. Erschwerend kam hinzu, dass von den 40 Deutschen Schnellbooten, zu dieser Zeit, 30 schon fast abgefahren waren.

Der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages nahm im Juni 1969 die Absicht der Marine zur Kenntnis, 10 neue Boote derKlasse 143, als Ersatz für die Jaguarboote, zu beschaffen. Im gleichen Monat billigte der Haushaltsausschuss das Vorhaben der Marine.

 

Die neue Bootsklasse 143 sollte neben dem AGIS System, das mit einem Rechner vom Typ USQ 1380B verknüpft wurde, mit einem HF- und UHF- Datenfunksystem Link 11/USC 27 zur Lagebildübermittlung in Echtzeit, über zwei drahtgelenkte Schwergewichtstorpedos vom Typ SEAL SST 4 DM2 A1, einer verstärkte Artillerie, bestehend aus zwei 76 mm Schnellfeuerkanonen von OTO Melara, zum Selbst- und Verbandsschutz gegen Luftangriffe, als auch über vier Flugkörper vom Typ MM 38 Exocet verfügen und ab 1975 der Schnellbootflottille zulaufen.

Nach Fertigstellung der Planungsunterlagen und der Festlegung, den Französischen Flugkörper MM 38 Exocet als Flugkörper und das Datenübertragungssystem Link 11/USC 27 in das System der 143er Klasse zu implementieren, wurde am 7. Juli 1972 der Vertrag zwischen dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung und der AEG- Telefunken, als General-unternehmer, für 10 Schnellboote unterzeichnet.

 

Sieben der Boote sollten in der Lürssen-Werft in Bremen und die drei restlichen Boote in der Kröger-Werft in Rendsburg gebaut werden. Im gleichen Monat wurden die Bauaufträge an die beiden Werften vergeben. Der Systempreis hatte sich in der Zwischenzeit auf 93,8 Millionen DM pro Boot erhöht.

Wichtigster Inhalt des Vertrags war, neben der Lieferung von 10 einsatzbereiten und betriebssicheren Booten im Zeitraum von November 1975 bis März 1977, auch die materielle und personelle Sicherstellung der Ausbildung zukünftiger Besatzungen sowie die Erstellung von umfassenden Versorgungs- und Instandhaltungsdokumentationen.

 

Ingesamt waren 30 Firmen aus 8 Ländern an der Entwicklung der Boote beteiligt. Am 4. Mai 1972 wurde in der Lürssen-Werft das erste Boot auf Kiel gelegt und mit dem Bau begonnen. Als erstes Boot des neuen Geschwaders wurde S 61 am 22. Oktober 1973 von Fr. Thäter getauft.

S 61 wurde  allerdings, aufgrund von Problemen mit der  Antriebsanlage, erst als fünftes Boot am 1. November 1976 in Dienst gestellt. Die Klasse 143 wurde, nach alter Tradition, nun auch ALBATROS-Klasse, nach dem ersten Boot des Geschwaders benannt.