Die Entwicklung der deutschen Schnellboote
Bei ihrem Wiederaufbau griff die Marine zunächst auf im Zweiten Weltkrieg bewährte Schiffskonzepte zurück, die gemäß dem technischen Stand der 1950er Jahre modifiziert wurden. Bei den Booten der Seeadler- und Jaguar-Klasse wurden vor allem die Einsatzerfahrungen aus den Kämpfen mit britischen Überwasserkräften im Ärmelkanal gegen Kriegsende berücksichtigt. Dabei wurde vor allem auf Seetüchtigkeit und Artilleriebewaffnung geachtet. Die anfangs schwache Sensorenausstattung wurde mehrfach nachgebessert.
Die JAGUAR-Klasse wurde von der Lürssen-Werft als Typ 55 entwickelt. Mit diesem Typ wurden die Erfahrungen des Schnellbootbaus aus dem Krieg fortgeführt. Die Boote waren aus einem inneren Leichtmetallgerüst mit Holzbeplankung sehr leicht konstruiert. Der Antrieb durch vier Dieselmotoren verlieh ihnen Geschwindigkeiten von über 40 Knoten (ca. 80 km/Std). Die Torpedoschnellboote zeichneten sich dabei durch gute Seegängigkeit und große Reichweite aus und hätten darum nicht nur zur Küstenverteidigung, sondern auch offensiv im freien Seeraum eingesetzt werden können.
Allerdings konnten die Boote mit ihrer Besatzung von 39 Mann nur wenige Tage ununterbrochen in See bleiben, da während Einsatzfahrten unter Gefechtsbedingungen praktisch keine Schlafpausen möglich waren. Außerdem war ihre Bewaffnung mit vier ungelenkten Torpedos schon bald nach Indienststellung überholt. Ihre Verdrängung war fast doppelt so groß wie die der Kriegsboote und sie waren sowohl offensiv wie defensiv entsprechend schwerer bewaffnet. Obwohl sie nicht die den „Lürssen-Effekt“ erzeugenden verstellbaren Stauruder erhielten, die zu den hervorragenden Fahrleistungen der Kriegsboote beigetragen hatten, erreichten sie mit einem vierten Motor versehen sogar bessere Werte.
Der Lürssen-Effekt beschreibt die Ausnutzung einer hydrodynamischen Besonderheit bei Bootsentwürfen der deutschen Werft Lürssen seit den 1930er Jahren, durch den die Fahreigenschaften verbessert wurden. Bei den Booten, die diesen Effekt ausnutzen, befinden sich sowohl das Halbbalanceruder als auch die beiden seitlichen Stauruder genau im Strom der Propeller, mit einem leichten Winkel nach außen. Zusätzlich ist am Heck ein Staukeil vorhanden. Auf den Schnellbooten der Lürssen-Werft konnten ab etwa 25 Knoten (kn) die beiden Stauruder mittels je eines Handrades und spezieller Ruderpinnen nach außen gedreht werden. Geschwindigkeitsabhängig wurden die Ruderblätter um etwa 30° angestellt. Dadurch kam es hinter den Ruderblättern zu einem Strömungsabriss und es bildete sich ein luftgefüllter Raum in der Heckwelle. Dies veränderte die Strömungsstruktur der Heckwelle und an den Propellern.
Der Effekt trat plötzlich ein und äußerte sich merklich vor allem in drei
Wirkungen:
· Geschwindigkeitszuwachsvon bis über 2 kn ohne zusätzlichen Maschinen-einsatz, zum einen weil der Wirkungsgrad der Propeller durch die veränderte Anströmung stieg und zum anderen weil durch die nun horizontalere Wasserlinie der Widerstand des Bootskörpers verringert war.
· Abflachung der Heckwelle, die sich erst etwa 27 m hinter dem Heck der Boote aufwarf, wodurch die maximale Geschwindigkeit erhöht wurde, denn der Abstand von Bug- und Heckwelle (normalerweise der Rumpflänge entsprechend) begrenzt die Höchstgeschwindigkeit.
· Anheben des Hecks um bis zu 75 cm, wodurch sich das Seeverhalten und die Manövrierfähigkeit wegen der horizontaleren Lage des Rumpfes im Wasser verbesserte.
Nach Eintritt des Lürssen-Effektes konnte der Anstellwinkel und damit auch der Strömungswiderstand der Stauruder reduziert werden, auf etwa 17–22°. Aufgrund der unsymmetrischen Strömung, welche die drei Propeller erzeugten, von denen zwei in die gleiche Richtung drehten, musste der Anstellwinkel steuerbords größer eingestellt werden. Unterhalb von 20 kn brach der Lürsseneffekt zusammen.
(Quelle: H. Docter: Die Entwicklung der deutschen Torpedo-Schnellboote. In: Nauticus. Jahrbuch für Seefahrt und Weltwirtschaft. 1960, 32. Jahrgang. Frankfurt a. M. Herausgegeben von Alexander von Borries. S. 136 ff.)
Aus der Entwicklung einer günstigeren Rumpfform und Bauweise durch die Lürssen-Werft, die hohe Geschwindigkeiten von über 30 kn ermöglichte, ging 1929 das Schnellboot S 1 hervor, die Basis für die Schnellbootwaffe der Kriegsmarine im Zweiten Weltkrieg. Schon dieses Boot konnte aufgrund des günstigen Strömungsverlaufes und einer Abflachung der Heckwelle mit Hilfe eines Staukeils vor der Abrisskante am Heck Geschwindigkeiten jenseits der klassischen Grenze für die Rumpflänge erreichen. Bei Testfahrten mit dem ersten Serienboot S 2 wurde dann zufällig entdeckt, dass das Boot bei hoher Geschwindigkeit und Hartruderlage nicht mehr auf den Lenkausschlag reagierte, sondern die geschilderten Effekte zeigte. Bei der Suche nach den Ursachen wurden die Grundlagen des Lürssen-Effektes gefunden und optimiert. Die Boote ab S 2 wurden daraufhin mit den beiden kleinen Rudern neben dem eigentlichen Ruder ausgestattet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Patent auf den Lürssen-Effekt als Waffentechnik eingestuft und von
den Alliierten eingezogen, so dass die Lürssenwerft nach dem Krieg keine Boote mit dieser Technik mehr bauen durfte.
Die Klasse 141 war bis auf die Motorisierung baugleich der Klasse 140. Die zehn gebauten Boote dieser Klasse bildeten von 1958 bis 1976 das 2. Schnellbootgeschwader. Sie wurden zunächst als zweite Gruppe der Jaguar-Klasse angesehen, später aber auch als SEEADLER-Klasse bezeichnet, ebenfalls benannt nach dem ersten Boot dieser Baureihe. Die Geschwader in der Ostsee stellten ständig mindestens ein Boot zur sogenannten TN „Taktischen Nahaufklärung“ ab, das im Ostseeausgang auf See stand und etwaige Flottenbewegungen der Staaten des Warschauer Pakts beobachtete und z. B. sowjetische U-Boote – die hier nicht tauchen konnten bei der Durchfahrt - “beschattete”. Ein weiteres Boot lag in Bereitschaft, um etwa bei technischen Problemen als Ersatz dienen zu können.
Vor allem in den ersten Jahren kam es wiederholt zu offiziell meist nicht gemeldeten Vorfällen mit Einheiten des Warschauer Pakts, wie provokativ nahes und schnelles Passieren bis hin zum Rammen, „versehentliche“ Beschießungen, Fluchthilfe aus DDR-Häfen und ähnlichem.
Die enge Zusammenarbeit und das dichte Zusammenleben aller Dienstgrade und Laufbahnen förderte ein besonderes Verhältnis innerhalb der Besatzungen und zum Waffensystem Schnellboot. Auch erhielten viele Offiziere der Bundesmarine auf Schnellbooten ihre erste Kommandoerfahrung, da die Boote mit relativ niedrigem Dienstgrad ein eigenes Kommando ermöglichten. Damit begründeten die SEEADLER-Boote einen besonderen Ruf der Schnellboote in der Bundesmarine. Schon bald wurde von der Bundeswehr über Verbesserungen der Boote nachgedacht. Einzelne Boote waren praktisch ständig zur Erprobung neuer Systeme im Einsatz.
Die Geschwader unterlagen dabei einer strengen Geheimhaltung. So wurde der "PELIKAN" zur Erprobung neuer Radar- und Antiradarsysteme abgestellt und zeitweise mit einem überdimensionierten Feuerleitradar, wie es auf Zerstörern zum Einsatz kommt, ausgestattet. Damit waren die Trefferergebnisse der Flak hervorragend, jedoch wirkte das Boot toplastig. Der GEIER erhielt zur Erprobung von ABC-Schutzanlagen vorübergehend einen völlig anderen Decksaufbau sowie einen Teleskopmast für das Radar. Zusammen mit dem PELIKAN erhielt das Boot einen Kunststoffüberzug zur Verminderung der Radarrückstrahlung, der sich aber nicht als haltbar erwies. Der KORMORAN führte Erprobungen neuer Torpedos durch, auch des später für die Folgeklassen eingeführten drahtgelenkten „DM 2 A1“. Dazu wurden zwei heckwärts gerichtete Torpedorohre montiert.